Wie kommt eine geflüchtete Person zu Psychotherapie oder Beratung?

Autor*in: Lu Kenntner

Folgende Informationen geben einen Überblick und ersetzen keine professionelle rechtliche Beratung (Stand: August 2020). Die Quellen sind am Ende angegeben, die Nummern im Text verweisen auf die jeweilige Quelle.

Allgemeine Infos zum Gesundheitssystem in Deutschland:

Das Gesundheitssystem in Deutschland sieht vor, dass alle Personen dazu verpflichtet sind, sich über eine Krankenkasse zu versichern (1). Wenn sich eine Person versichert, ist sie ihm Besitz einer elektronischen Gesundheitskarte. Bezahlt wird eine Versicherung über Beiträge der versicherten Person sowie über deren Arbeitgeber*in. Der Beitrag, den die Person selbst zahlen muss, richtet sich nach dem Einkommen. Alle Menschen haben den gleichen Anspruch auf eine medizinische Versorgung, sowie eine Lohnfortzahlung bei Erkrankung. Dazu gehören ebenfalls psychologische/psychotherapeutische Behandlungen.

Allgemeine Infos zur Gesundheitsversorgung von Geflüchteten:

Die Aufnahmerichtlinie in Art. 19 gewährt die erforderlichen medizinischen und sonstigen Hilfen, einschließlich erforderlichenfalls eine geeignete psychologische Betreuung für Asylsuchende mit besonderen Bedürfnissen*. Die Gesundheitsversorgung von Geflüchteten wird generell über das Asylgesetz und das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG) geregelt (2). Die allgemeinen Leistungsansprüche richten sich für diese Personengruppen zunächst nach § 3 AsylbLG.

Darunter fallen Personen, die sich im Asylverfahren befinden, die eine „Aufenthaltsgestattung“ besitzen, die über einen Flughafen einreisen wollten und denen die Einreise nicht oder noch nicht gestattet ist, die eine Aufenthaltserlaubnis gem. § 23 Abs. 1 oder § 24, § 25 Abs. 4 S. 1 oder § 25 Abs. 5[1] AufenthG besitzen. Ebenfalls gilt dies für Personen, bei denen eine Entscheidung über die Aussetzung ihrer Abschiebung noch nicht 18 Monate zurückliegt, die über eine „Duldung“ nach § 60 a AufentG verfügen oder die vollziehbar ausreisepflichtig sind, auch wenn eine Abschiebungsandrohung noch nicht oder nicht mehr vollziehbar ist. Des Weiteren gilt die Versorgungsleistung für Ehegatt*innen, Lebenspartner*innen oder minderjährige Kinder der genannten Personen, ohne dass sie selbst die dort genannten Voraussetzungen erfüllen oder die einen Folgeantrag nach § 71 AsylG oder einen Zweitantrag gem. § 71 a AsylG gestellt haben (3). Unter das AsylbLG fallen auch Menschen ohne legalen Aufenthaltsstatus (4). 

Während der ersten 18 Monate ist bei Personen, die die genannten Bedingungen erfüllen, das Sozialamt für die Sicherstellung der medizinischen Versorgung nach dem AsylbLG zuständig (1). Je nach Bundesland wird entweder ein Krankenbehandlungsschein im Krankheitsfall oder eine elektronische Gesundheitskarte mit eingeschränktem Leistungsanspruch vom Sozialamt ausgestellt. Die Leistungen umfassen laut §4 AsylbLG die Kostenübernahme für „erforderliche“ Behandlungen „akuter Erkrankungen und Schmerzzustände“, was dies genau bedeutet wird gesetzlich nicht definiert. Laut §6 AsylbLG werden sonstige Leistungen gewährt, wenn sie im Einzelfall „zur Sicherung des Lebensunterhalts oder der Gesundheit unerlässlich sind.“ Die Bewilligung der Leistungen liegen im Ermessen der zuständigen Sozialbehörde. Ob z.B. eine Psychotherapie unter § 4 oder § 6 AsylbLG fällt, kann offen bleiben.

Nach 18 Monaten Aufenthalt in Deutschland (vorausgesetzt nicht „rechtsmissbräuchlich selbst beeinflusst“) ist der Leistungsanspruch analog zu dem über Krankenkassen Versicherter, die Kosten werden jedoch weiterhin vom Sozialamt übernommen. Ab diesem Zeitpunkt erhalten die Personen flächendeckend eine elektronische Gesundheitskarte. Mit dem Erhalt einer Aufenthaltserlaubnis oder wenn eine Arbeit aufgenommen wird, entsteht eine Mitgliedschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung (5,1).

Psychotherapie für Geflüchtete:

Solange die Gesundheitsversorgung über § 3 AsylbLG geregelt wird, ist der Zugang zu einer Psychotherapie oder Beratung nicht ganz leicht, da hauptsächlich Not- und Akutbehandlungen vorgesehen sind. Die zuständigen Behörden müssen eine Behandlung als erforderlich einschätzen und bewilligen. Wenn eine Behandlung bewilligt wurde, folgt eine Wartezeit auf einen Therapieplatz. Aufgesucht werden können Therapeut*innen mit oder ohne Kassenzulassung.  Niedergelassene Psychotherapeut*innen sowie Psychotherapeut*innen in psychosozialen Zentren müssen die Anträge auf Kostenübernahme der Behandlung über die Sozialämter laufen lassen.  Die meisten Asylbewerber und Geflüchteten werden in dieser Zeit durch Psychosoziale Zentren für Flüchtlinge und Folteropfer (PSZ) behandelt. Dort gibt es psychosoziale, therapeutische und weitere niedrigschwellige Unterstützungsangebote in einem meist interdisziplinären Team. In Deutschland gibt es 42 PSZn. Die Aufnahme erfolgt über ein Wartelistensystem.

Nach 18 Monaten Aufenthalt besitzen Geflüchtete Analogleistungen zu einer Krankenversicherung und können niedergelassene ärztliche oder psychologische Psychotherapeut*innen mit Kassenzulassung aufsuchen. Eine andere Möglichkeit ist das Aufsuchen einer Therapeut*in, die zwar keine Kassenzulassung besitzt, jedoch eine Ermächtigung erhalten hat, Geflüchtete zu behandeln. Des Weiteren können Psychotherapeutische Institutsambulanzen von Universitäten eine Anlaufstelle sein bei der Suche nach einer Therapeut*in.

Für viele Menschen ist das Mitwirken einer Dolmetscher*in für die Behandlung notwendig. Die Finanzierung von Dolmetscher*innen kann bei Sozialämtern beantragt und im Rahmen des AsylbLG übernommen werden. Auch hier muss mit einer Wartezeit für die Bearbeitung gerechnet werden. Bei Ablehnung kann ein Widerspruch eingelegt werden. Nach 18 Monaten und dem Erhalt von Analogleistungen zu einer Krankenversicherung sind Kosten für Sprachmittlung nicht enthalten (1). PSZ besitzen einen eigenen Sprachmittler*innenpool.

* Besonderer Schutzbedarf: Darunter fallen gem. Art. 21 der Richtlinie z. B. Minderjährige, unbegleitete Minderjährige, Behinderte, ältere Menschen, Schwangere, Alleinerziehende, LSBTTIQ* Personen (6), Personen mit schweren körperlichen Erkrankungen, Personen mit psychischen Störungen und Personen, die Folter, Vergewaltigung oder sonstige schwere Formen psychischer, physischer oder sexueller Gewalt erlitten haben. Die Liste ist nicht vollständig bzw. abgeschlossen. 

Quellen:

  1. https://www.refugio-stuttgart.de/files/daten/20_Doku_Sprachmittlung.pdf
  2. http://www.baff-zentren.org/wp-content/uploads/2017/02/Versorgungsbericht_3-Auflage_BAfF.pdf
  3. http://www.baff-zentren.org/wp-content/uploads/2017/03/BAfF_Arbeitshilfe_Therapiebeantragung.pdf
  4. https://www.bundesaerztekammer.de/fileadmin/user_upload/downloads/Faltblatt_Patienten-ohne-Aufenthaltsstatus_30112013.pdf
  5. https://www.gesundheitsinformation.de/das-deutsche-gesundheitssystem.2698.de.html?part=einleitung-co
  6. https://www.netzwerk-lsbttiq.net/files/refugees/Verfahrensvorschlag%20Systematischen%20Schutzbedarfserhebung_Mai_2018.pdf

Letzte Aktualisierung: 09.03.2021

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