Homo- und Bisexualität als Risikofaktor für Depression und Suizidalität bei Männern

Studie

Dr. Martin Plöderl et al.

Zusammenfassung

Das Risiko von homo- und bisexuellen (HBS) Männern für Suizidalität und Depression wird in internationalen Studien auf 1,9 bis 8,2 mal so groß eingeschätzt wird wie das von heterosexuellen Männern (Plöderl, Kralovec, Fartacek & Fartacek, 2009).

Als Gründe dafür benennen Plöderl et al. drei sich ergänzende Faktoren: Minoritätenstress, allgemeine Risikofaktoren und Vulnerabilisierung vor dem Coming-out durch geschlechtsrollenuntypisches Verhalten. Minoritätenstress wird die zusätzliche Belastung genannt, der HBS durch befürchtete und tatsächliche Diskriminierungs- und Gewalterfahrungen ausgesetzt sind. Allgemeine Risikofaktoren umfassen weitere Stressoren, denen HBS ausgesetzt sind, z.B. einer höheren HIV-Rate, Religiosität (die bei HBS nicht nur Schutz-, sondern auch Risikofaktor sein kann), geringere familiäre Unterstützung.

Beide Erklärungsfaktoren (Minoritätenstress und Allgemeine Risikofaktoren) stehen bereits seit längerem als Faktoren für ein erhöhtes Depressions- und Suizidalitätsrisiko unter Verdacht, können jedoch nach Plöderl et al. das erhöhte Risiko nicht vollständig erklären. Sie vermuten deshalb, dass ein dritter Faktor hinzukommt: geschlechtsrollenuntypisches Verhalten, das bereits in der Phase vor dem Coming-out (prähomosexuelle Phase) gezeigt wurde. Geschlechtsrollenuntypisches Verhalten in der Kindheit ist bei HBS stärker ausgeprägt als bei Heterosexuellen. Da auf dieses Verhalten gerade bei Jungen stark negativ reagiert wird, kann eine Vulnerabilisierung für Depression und Suizidalität befördert werden.

Plöderl et al. betonen, dass die besonderen Herausforderungen, die sich HBS-Männern stellen, von den meisten gut bewältigt werden. Die Herausforderungen bergen nicht nur Risiken, sondern bieten auch "Chancen zur positiven Reifung und zur Entwicklung von spezifischen Ressourcen" (S. 34; vgl. King & Noelle, 2004; Riggle, Olson, Whitam Rostosky & Strong, 2008).

Schlussfolgerungen, die Plöderl et al. ziehen: Zur Therapie der betroffenen HBS werden gay affirmative Therapien empfohlen und die Berücksichtigung von Geschlechtsrollennonkonformität gefordert. Therapeutinnen und Therapeuten benötigen zudem detailliertes Hintergrundwissen zu HBS und Erfahrung mit HBS-Männern. Schließlich mahnen sie an, das Thema HBS in der Fachliteratur zu Depression und Suizidalität stärker zu berücksichtigen und Präventionsmaßnahmen in Schulen durchzuführen.

Quellen:

King, L. A., & Noelle, S. S. (2005). Happy, mature, and gay: Intimacy, power, and difficult times in coming out stories. Journal of Research in Personality, 39, 278-298.

Plöderl, M., Kralovec, K., & Fartacek, R. (2010). The relation between sexual orientation and suicide attempts in Austria. Archives of Sexual Behavior. doi: 10.1007/s10508-009-9597-0

Plöderl, M., Kralovec, K., Fartacek, R., & Fartacek, C. (2009). Homosexualität als Risikofaktor für Depression und Suizidalität bei Männern. Blickpunkt DER MANN, 7, 28-37.

Riggle, E. D. B., Whitman, J., Olson, A., Rostosky, S. S., & Strong, S. (2008). The positive aspects of being a lesbian or gay man. Professional Psychology: Research and Practice, 39, 210-217.

Letzte Aktualisierung: 04.08.2020

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